11. August 2020
Die Begriffsverwirrung im Bereich der digitalen Transformation schafft eine Komplexität, die man einfach nicht mehr durchblicken kann. Wir wissen, dass wir das verstehen sollten, damit wir es kontrollieren können. Und so geraten wir in die Versuchung, Lehrer zu suchen, die Erleuchtung bringen. Die uns einfache Antworten auf komplexe Fragen geben. (Ich als Frau komme leider für solch eine Position nicht in Frage. Es sind ausschließlich Männer.)
So gibt es New Work, wo Frithjof Bergmann diese Funktion erfüllt. Work Out Loud, wo John Stepper die Richtung bestimmt. Beide Gruppierungen sind sehr erfolgreich in der deutschen Wirtschaft (New Work wird from Wirtschaftsministerium unterstützt, WOL ist in der Automobilindustrie zu Hause.) Beide sind überraschend religiös. Bergmann spricht von Selbstverwirklichung und einer Art Prozess, herauszufinden, was wir wirklich wollen. Stepper nutzt buddhistische Prinzipien, die offensichtlicher werden, je weiter man sich in seinen Lehren vertieft.
Ich habe in einem ganz anderen Umfeld gelernt und ich sehe, wie verschieden die Ergebnisse der verschiedenen Ansätze sind. Der größte Unterschied: Mit Religion schaffen wir Anhänger, keine Innovatoren. Man schafft keine Verantwortlichkeit, weder beim Lehrer, denn er ist ja schon perfekt, noch bei den Nachfolgern, denn sie folgen ja dem perfekten Lehrer. Man schafft keine Offenheit. Man schafft keine wirkliche Nähe zu anderen Menschen – Außenstehende sind arme Unbekehrte. Man schafft keine Transparenz. Es gibt keinen Grund, die Struktur zu öffnen und Außenstehenden einen Einblick in ihre Substanz zu ermöglichen.
Ich habe “digitale” Kultur in einem ganz anderen Umfeld gelernt.
Nachdem ich mein erstes Projekt im öffentlichen Dienst beendet hatte, organisierte ich 2010 das London Localgovcamp – eine Unconference, eine Art Barcamp, zu Themen der Innovation im öffentlichen Dienst. Seitdem war ich Teil des Netzwerks, aus dem der Government Digital Service, Localgov Digital, NHSX hervorgegangen sind.
In diesem Umfeld gibt es Prinzipien, die je nach Bedarf angepasst werden können. Die GDS principles und die NHS design principles sind ähnlich, nicht identisch.
Im NHS wird man aktiv dazu ermutigt, seinen Beitrag zu leisten.
Im scharfen Kontrast dazu: Die heiligen Schriften der Lehrer, die unverändert weiter vermittelt werden. Ob sie uns nun nützen oder nicht. (Laut einer Studie des Fraunhofer Instituts hat in Mecklenburg-Vorpommern keine einzige Organisation die Lehren des New Work angewendet.)
Ich habe Erfahrung mit verschiedenen Blüten dieses religiösen Ansatzes. Es gibt sie immer und immer wieder, alles, was man braucht, ist jemand, der von sich behauptet, allgemein gültige Lösungen für die Probleme zu haben, die uns schmerzen und schlaflose Nächte bereiten, und ein paar Jünger.
Und wie L. Ron Hubbard schon sagte: “If you want to get rich, you start a religion.” Anhänger sind profitabel und man muss nur sehr wenig selbst arbeiten. Leider ist ein Umfeld, wo so viele Menschen so verwirrt sind und so viele Probleme haben, ein reifes Feld. So wird es auch nicht weniger davon geben.
Mein großes Problem ist nur die Glaubwürdigkeit: die Prinzipien, die ich als Grundlage für ein wirklich innovatives Netzwerk kenne und auf deren Grundlage ich gern arbeiten würde, sind nirgendwo präsent, wo sie für Führungskräfte im deutschen Gesundheitswesen relevant erscheinen. So kann ich nur auf die GDS Principles zeigen und Jeremy Gould zitieren:
The service manual, the design prototyping toolkit, the design principles, the tech code and the service standard are not simply GDS impositions but codifications of good practice developed over a long period of time and contributed to by many experts. Collectively they represent a significant body of experience about how to build better user centred public services.